Das Gepäck war ausgeladen, die Kajaks verstaut. Noch einen letzten Drink zusammen bevor wir uns wieder in verschiedene Himmelsrichtungen zerstreuen.
Es war einzigartig, traumhaft, mit dem Kajak durch dieses Inselgewirr zu gleiten, begleitet von Orcas, Delphinen und Seehunden im Wasser oder Möwen und Adlern in der Luft. Irgendwo an Land zu gehen, um in einer schönen Bucht ein Camp zu errichten oder einfach nur um die Gegend zu erkunden. Eine milde Sonne begleitete uns die ganzen Tage aus einem hellblauen Himmel über uns, der leichte Wind trocknete manch kleine Schweißperle auf der Stirn und das ruhige Wasser gestattete uns die Schönheiten dieser Landschaft zu entdecken.
Doch irgendetwas hielt mich hier zurück, ich konnte und wollte diese Gegend noch nicht verlassen.
Von den Leuten im Ort versuchte ich noch einen besonderen Tipp zu bekommen, irgendetwas sehens-, erlebenswertes, doch die erhaltenen Vorschläge gingen mir nicht so recht nahe.
Ein Fischer blickte mich verschmitzt von der Seite her an,  verrichtete dann weiter seine Arbeit ohne mir zu antworten.
„Es müsste etwas besonderes sein“, fügte ich hinzu „eine Bucht mit Regenwald aus der Eiszeit zum Beispiel“, denn mehr fiel mir bei meinen Vorstellungen auch nicht ein.

„Buchten mit einsamen Stränden findest du jede Menge, und Regenwald … nun ja, gibt es auch noch – nicht so alt wie du ihn gern hättest aber es gibt ihn noch.“ Der Fischer blickte kurz auf, musterte mich von Kopf bis Fuß und versank wieder in seinem Haufen Schnüre, die er zu entknoten versuchte.
Ich verbrachte den restlichen Tag weiter am Hafen, ließ mir die Sonne auf den Pelz scheinen und beobachtete das emsige Treiben. Hast und Eile waren hier fehl am Platz. Am Abend ging ich in eine kleine Bar wo ich die gleiche Frage dem Wirt stellte, denn wenn einer etwas wusste dann war es der Mann hinterm Tresen.
„Frag John, der hat sicherlich einen Tipp, vielleicht kommt er noch“
Es wurde spät als John aus der Küche heraus die Bar betrat. Der Wirt nickte zu mir und John kam auf mich zu. „Na immer noch kein Ziel?“
John Baer, der Mann von heut Morgen aus dem Hafen. Eine Erscheinung, wie man sich einen Indianer in der heutigen Zeit vorstellt. Groß, kräftig, braungebrannt, eine Mischung aus Tradition und Moderne. Er gehörte zum K`òmoks (Comox) Clan, einen von vielen kanadischen First Nations in Britisch Columbia die hier auf Vancouver Island schon seit Beginn der Zeit lebten. Sein Leben schien er der modernen Welt angepasst zu haben und doch spürte ich, dass eine sehr viel ältere Tradition in ihm weiter lebte und dieser Geist bestimmte weitgehend sein Handeln.
Wir unterhielten uns über Gott und die Welt, seinen Clan, über Zukunft und Vergangenheit. Am Ende des Abends hatte ich zwar immer noch kein Ziel, aber eine Verabredung mit ihm für den nächsten Morgen. . .

 

 

. . . Quälend, mit gedämpften Schmerzschreien hatte ich mich endlich erhoben. Ich musste mich bewegen um warm zu werden, doch nun wurde mir die bedrohliche Lage klar in der ich mich befand. Kein Gefühl in Füße und Beine, meine Hände spürte ich ebenfalls nur als taubes Etwas und in meinem Kopf begann sich alles zu drehen, so konnte ich auch mein zusammenklappen nicht aufhalten. Da ich nicht ohnmächtig wurde begann ich die gleiche Quälerei vom neuem bis ich wieder stand. Dieses mal konnte ich mich aufrecht halten und begann mich langsam zu bewegen. In solchen Situationen verliert man jegliches Zeitgefühl, alles scheint unendlich lang und wirkt quälender als es wirklich ist.
Die Nacht verlor langsam ihre Undurchdringlichkeit. Schemenhafte Umrisse traten hervor, malten ein mystisches Bild vor meinen Augen.
Durch meine kleinen Bewegungen war auch das Gefühl in meine Extremitäten zurück gekehrt, begleitet von tausenden Nadelstichen und heißen Schüben, die meine schmerzenden Gelenke fast zur Explosion brachten.
Doch kaum war das Tageslicht zurück, begann es wieder zu regnen. Meist wird dann alles grau in grau doch hier blieb das magische Licht erhalten. Erneut ein Feuer zu entfachen scheiterte an meiner Konzentration dieses nasse Zeug richtig vorzubereiten. Meine körperliche Verfassung war nicht die beste, Hunger und Durst machten sich breit. Verpflegung hatte ich nicht mitgenommen, wollte ja am Abend wieder am Zelt sein und mein Wasservorrat war auch schon längst aufgebraucht. Der See lud zwar zum trinken ein, doch war es ein stehendes Gewässer und jetzt noch eine Infektion zu bekommen, wäre Selbstmord gewesen. Das Regenwasser, was auf den großen Blättern der Teufelskeule stand ließ sich nur mühsam in die Trinkflasche füllen doch da war doch noch der kleine Bach. Als ich ihn fand, fand ich auch den Durchgang wieder, den ich am Abend zuvor vergebens gesucht hatte.
So wie ich herab gerutscht war, quälte ich mich auf allen vieren aufwärts. Nun machte sich mein Nahrungsmangel bemerkbar. Mein Körper begann zu zittern, heiß kalte Schübe überliefen ihn, Kopf und Gliederschmerzen setzten ein und das Bild vor den Augen verschwamm teilweise.
Als ich wegrutschte und mit dem Kopf aufschlug blieb ich reglos liegen. „Du schaffst das, steh auf.“ Klang es mir im Ohr. Doch brauchte ich den Kopf nicht zu heben um nach der Quelle zu sehen, es war keiner da außer mir. Langsam stützte ich mich auf, ich sah wieder klar und mir war als ob mir da jemand unter die Arme griff – so leicht konnte ich mich erheben . . .

 

 

 

. . . Er rutschte vom Barhocker und wollte zahlen, doch der Wirt lehnte ab, gab ihm zu verstehen, dass alles in Ordnung sei. Er bedankte sich nickend und schob sich an mir vorbei in Richtung Tür.
Plötzlich spürte ich seine riesige Hand auf meiner Schulter:
„Sie haben dich nicht weggelassen und du weißt warum.“ Flüsterte er und schnippte mit seinem Daumen auf mein  Amulett, welches mir vor vielen Jahren ein Künstler aus Whitehorse geschenkt hatte und das ich immer bei meinen Reisen um den Hals trage.
„Der Rabe, ich nehme an, dass dies dein Sternzeichen ist, gehört zum Clan der Schmetterlinge, seine Mitglieder berufen sich alle auf den gleichen Ahnen.“  Er spürte, dass ich es wusste und so legte er noch eine Bemerkung nach.
„Warum glaubst du hatte dich ein Bär begrüßt als du auf die Insel kamst? – Mudjekeewis hatte dir somit gezeigt das du willkommen bist. Von diesem Zeitpunkt an lagen deine Geschicke in den Händen meiner – unserer Ahnen“ . . .

 

 

 

 

Wurzelwerke
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